Für alle Tomte-Fans etwas aus dem Hamburger Abendblatt
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Gitarrenpop im Schwiegersohn- Outfit
Tomte: Konzert auf dem Kiez. Sänger "Uhlo" trägt sein Herz auf der Zunge: Tomte brachte das Publikum in der Großen Freiheit in Ekstase.
Hamburg -
Tomte! Klatsch, klatsch, klatsch. Tomte! Klatsch, klatsch, klatsch. Oléee, oléee, oléee! Nein, dies ist kein Fußballstadion. Dies ist die Große Freiheit. Und Tomte ist eine Gitarrenpop-Band, deren Auftritt Mädchen in Spaghettiträger-Shirts mit Sitzblockaden vor der Bühne entgegenfiebern, während sich Männer mit Halbglatze hinten am Tresen ihr fünftes Bier bestellen.
Pale gibt mit melodiösem College-Rock tapfer den Einheizer. Doch die Menge wartet nur auf das, was sich im Rücken der Gruppe ankündigt: Auf einem Banner prangt das Logo von "Grand Hotel van Cleef", jener Plattenfirma von Tomte-Sänger Thees Uhlmann sowie den Kettcar-Kollegen Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff.
Mit dem Größenwahn eines plötzlich zu Erfolg gekommenen Underdogs freut sich Uhlmann, daß der Kiez-Klub Sonnabend und Sonntag ausverkauft ist. Ebenjene Massenwirkung läßt Kritiker rufen: "Ausverkauf!" Der Generalvorwurf: Uhlmann vermarkte seine Intimsphäre. Ja, dieser blonde Typ in hochgeschlossener Lederjacke, Jeans und Converse-Turnschuhen ist einer, der sein Herz auf der Zunge trägt. Direkt nach dem Opener "So soll es sein" erzählt er von seinem überfahrenen Hund. Und bevor er gegen Ende "Von Gott verbrüht" schreit, plaudert "Uhlo" darüber, daß sein Hosenbund scheuert. Das ist manchem zuviel des Privaten. Doch jede Anekdote ist mit einer Ehrlichkeit vorgetragen, die sagen will: "Ich bin einer von euch." Fast.
Meist steht die komplette Combo im Licht. Und rockt. Trotz der Schwiegersohn-Outfits. Bassist Oliver Koch, Keyboarder Max Martin Schröder und Schlagzeuger Timo Bodenstein legen sich mit frisch gebügelten Hemden ins Zeug, Gitarrist Dennis Bek-ker gar im Sakko. Gemäß den Versen: "Ich war ein guter Junge, heute mache ich mich schick."
Nachdem Uhlmann seine "zu hippiemäßige" Akustikgitarre gegen die elektronische eingetauscht hat, tanzen die Fans Pogo zu Zeilen wie "Da ist zuviel Krebs in deiner Familie". Paare küssen sich beim Liebeslied "New York" und eine junge Frau heult sich die Augen aus zu dem schwelgerischen "Ich sang die ganze Zeit von dir".
Uhlmann bekennt sich mit "Wilhelm, das war nichts" zum Britpop und zitiert bei "Hinter all diesen Fenstern" den Song "Emily Kane" von Art Brut. Mit geschlossenen Augen singt er "dem Macker" Wiebusch die Hamburg-Hymne von den "Buchstaben über der Stadt" - Titel des Albums, das sich seit Februar 50 000mal verkauft hat. Gerade als die Ekstase kaum noch steigerungsfähig scheint, holt Uhlmann für eine Zugabe sein Nebenprojekt, die Hansen-Band, auf die Bühne und mit ihr Jürgen Vogel ans Mikro. Der Schauspieler küßt Uhlmann beim Abgang. Und dieser verkündet: "Ich werde diesen Abend so lange nicht vergessen, bis ich tot bin." Da ist es wieder, das Herz auf der Zunge.
erschienen am 10. April 2006